Rockmusik und Sozialkritik zwischen Eis und Weizenbier

[Weinheimer Nachrichten vom 02. Mai 2007]

Weinheim. (dra) Weinheims Ehrenbürger Wolfgang Daffinger hatte einen Platz an der Sonne. Als langjähriger DGB-Vorsitzender hatte er es im Vorfeld des 1. Mai sehr begrüßt, dass die offizielle Maikundgebung der Gewerkschaft nach vielen Jahren, in denen sie Bestandteil eines Maifestes an der Dietrich-Bonhoeffer-Schule gewesen war, nun wieder auf den Marktplatz zurückkehrte.

Von seinem Stuhl aus verfolgte er gestern auf seinem sonnigen Platz die beiden ersten Ansprachen einer sich über mehrere Stunden erstreckenden Veranstaltung, die Carsten Labudda als Vorsitzender des DGB Ortsverbands Weinheim moderierte und die sich als Mischung aus fünf Ansprachen und einem bunten Kulturprogramm präsentierte. Die Band "Hot Mustard" rockte zunächst den Marktplatz ganz ordentlich durch, so dass Gästen angrenzender Kneipen bei einem kühlen Weizenbier und flanierenden Eisessern zunächst ein deftiges Musikprogramm geboten wurde. Dazu gab es allerdings alsbald auch politische Kost.

Oberbürgermeister Heiner Bernhard sprach in seiner Rede von der Ohnmacht der Politik, die trotz florierender Wirtschaft von Arbeitsplatzabbau in unvorstellbaren Dimensionen erfahren muss. "Und wenn man dann noch wahrnimmt, dass gerade die Streichung von Personalstellen Ursache für den sprunghaften Anstieg der Börsenkurse war, macht einen das wütend", sagte das Stadtoberhaupt. Auch auf kommunaler Ebene hat die wirtschaftliche Entwicklung vergangener Jahrzehnte ihre Spuren hinterlassen. Weinheims größter Arbeitgeber beschäftigt nur noch die Hälfte Arbeitnehmer wie früher, und überhaupt ist der einst starke Industriestandort Weinheim geschrumpft, was der Stadt bei gleichzeitig steigenden Verpflichtungen gegenüber Infrastruktur und Lebensqualität der Bürger enorme Probleme bereite.

Der einstmals von der Arbeiterbewegung hart und heiß erkämpfte "Tag der Arbeit" stand diesmal unter dem Motto "Du hast mehr verdient!" Wolfgang Alles, Betriebsrat bei Alstom in Mannheim, füllte das Motto in seiner Hauptrede mit Inhalt. Für ihn ist die Globalisierung nicht mehr als eine ausgeklügelte Strategie und ein Programm rücksichtsloser Umverteilung von unten nach oben. Dies habe nicht nur zu menschenunwürdigem Arbeitsplatzabbau geführt, sondern zerstöre zunehmend die natürlichen Lebensgrundlagen für alle Menschen.

"Deutschland ist nicht Papst, sondern Exportweltmeister", rief Alles und kritisierte, dass trotz voller Auftragsbücher ein weiterer Kahlschlag auf dem Arbeitsmarkt drohe. Airbus und Telekom waren zwei Stichworte, aber auch bei Freudenberg in Weinheim und Alstom in Mannheim seien die Tendenzen erkennbar. In diesem Zusammenhang lobte Alles ausdrücklich die starke kämpferische Haltung, welche die Belegschaft der Freudenberg Bausysteme KG im Januar an den Tag gelegt hatte. Sie hatte offenbar dazu geführt, dass bei erneut sich anbahnenden Verkaufsüberlegungen die Belegschaft mit einbezogen wird. Darauf wies Helmut Schmitt, Vorsitzender der IG BCE Ortsgruppe Weinheim, in der anschließenden Rede hin.

Wolfgang Alles, Helmut Schmitt, aber auch der Betriebsratsvorsitzende der Vliesstoffe KG von Freudenberg, Norbert Pöhlert, wiesen ihre Zuhörer darauf hin, dass Arbeitslosigkeit nicht vom Himmel fällt, und dass Solidarität unter den arbeitenden Menschen die Antwort gegen Profitmaximierung und schlechte Löhne sein müsse.

Mehr Respekt gegenüber den Arbeitnehmern, mehr soziale Gerechtigkeit und gute Arbeit, das ist auch im Sinne von Stella Kirgiane-Efremidis. Die Vorsitzende des Koordinierungskreises zur Integration von Ausländern in Weinheim rief dazu auf, dass Solidarität keine Frage der Nationalität des Einzelnen ist, sondern dass alle Arbeitnehmer in einem Boot sitzen.

Mit Musik des Alstom-Chors, der Band "Back Flip", einer weiteren Band des Werner-Pöhlert-Musikclubs, und Beiträgen der Musik-Kabarettgruppe "Härzbluut" wurden weitere Kulturakzente gesetzt. Infostände rundeten die Maikundgebung ab, wobei die Bürgerinitiative "Rettet den Wachenberg" auf eine Geopark-Führung am kommenden Samstag um 10 Uhr durch den Steinbruch am Wachenberg und auf die Gefahr weiteren Gesteinsabbaus hinwies.
labudda - 2. Mai, 21:45

Kommentar: Weniger ist mehr

[Weinheimer Nachrichten vom 02. Mai 2007]

Der Weinheimer Marktplatz liegt nicht mehr im Herzen der Stadt, weil die meisten Weinheimer längst in der Weststadt wohnen. Trotzdem ist dies nicht der Grund, warum die Maikundgebung des DGB auf jenem Platz, wo das Leben in Weinheim an sonnigen Tagen wie gestern heftig pulsiert, so wenig Menschen erreicht hat.

Die Gesellschaft zeigt am 1. Mai schon seit Jahren ein erschreckend unpolitisches Gesicht. Man amüsiert sich lieber, strebt nach Wellness und Entspannung, als sich mit unbequemen Themen der Arbeitswelt zu befassen. Der will man an einem sonnigen Feiertag lieber entfliehen, als öffentlich ein Zeichen gegen Profitmaximierung, schlechte Entlohnung oder Arbeitsplatzabbau zu setzen.

Wolfgang Daffinger mag sich gestern auf seinem etwas einsamen Plätzchen auf dem Marktplatz manchmal gefragt haben, woran es liegen mag, dass die Maikundgebung von einem einstmals gesellschaftlichen Ereignis zu einer Pflichtveranstaltung heruntergekommen ist. Oberbürgermeister Heiner Bernhard lieferte die Antwort. Kollektives Empfinden hatten früher bei Menschen der Nachkriegsgeneration einen höheren Stellenwert, weil sie noch fühlten, dass Not zusammenschweißt. Heute dagegen regiert die Individualität und der Egoismus.

Der DGB hat sich mit der Rückkehr seiner Maikundgebung an den Marktplatz und mit seinem Programm viel Mühe gegeben. Das Motto "Du hast mehr verdient!" hätte er am Ende aber auf sich selbst bezüglich des mageren Besucherzuspruchs ummünzen können. Deshalb ist ihm dringend zu raten, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Zusammen mit dem Empfang der Stadt am Vorabend des 1. Mai wurden fast zehn Reden in Weinheim zu Arbeitsthemen gehalten. Statt dieser gigantischen Redeschlacht wäre eine Bündelung der Kräfte zu einer gemeinsamen, kompakteren Veranstaltung dringend angeraten. Auch die Redensinhalte sind bezüglich mancher stets wiederkehrender Floskeln und Allgemeinplätze genau zu prüfen.

Weniger wäre dann mehr, und die Inhalte würden eher gehört werden als in der Masse zu verschwimmen. Das ist man den Themen und den Menschen schuldig.

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