Rechtsextreme stehen in Weinheim im Abseits

[Weinheimer Nachrichten vom 02. Mai 2006]

Weinheim. (pro) Weit über 500 Menschen haben gestern gegen den Aufmarsch der Rechten und für ein weltoffenes Weinheim auf dem Bahnhofsvorplatz demonstriert. Ihnen standen am späten Nachmittag rund 350 Neonazis gegenüber.

Zu den befürchteten Krawallen zwischen Linksautonomen und Rechten kam es zum Glück nicht. Nach Angaben der Polizei waren über 1000 Beamte im Einsatz, darunter auch Einheiten des Bundesgrenzschutzes. Ersten Schätzungen zufolge dürfte dieser Einsatz weit über 500000 Euro gekostet haben.

Schon seit dem späten Vormittag kreiste ein Polizeihubschrauber über dem Bahnhofsgelände, das weiträumig abgesperrt worden war. Während die "Initiative gegen Rechts" zusammen mit dem DGB im südlichen Bereich des Bahnhofsvorplatzes ihre Kundgebung abhalten konnte, standen die Neonazis nach ihrer Ankunft gegen 17.45 Uhr ziemlich abseits am nördlichen Ende des Bahnhofsgebäudes. Dazwischen lag sozusagen die gut 100 Meter breite "neutrale Zone", die von starken Polizeikräften gesichert wurde. Die Polizei setzte zahlreiche Videokameras ein, um das Geschehen zu dokumentieren. In der Ludwigstraße und der näheren Umgebung warteten zwei Wasserwerfer und weitere Mannschaftswagen als mögliche Verstärkung.

Die Teilnehmer der Kundgebung der "Initiative gegen Rechts" bewiesen großes Stehvermögen. Denn die Rechten stiegen von Heppenheim kommend zunächst nicht in Weinheim aus, da ihre "Kameraden" in Ladenburg die Erlaubnis zu einem Demonstrationszug erhalten hatten, der ihnen von der Stadt Weinheim erfolgreich verwehrt worden war. So blieb es zunächst bei einem neunminütigen Kurzstopp der Rechten am Weinheimer Bahnhof von 14.03 bis 14.12 Uhr. Dabei lieferten sie sich Wortgefechte mit jugendlichen Linken, die fast alle schwarz gekleidet waren. Auch hier sperrte die Polizei den Zugang ab; allerdings hielten die drei Waggons mit den Rechten nicht wie vorgesehen am Nordende des Bahngleises, sondern in unmittelbarer Nachbarschaft der Gegenkundgebung. Es sollte zum Glück die einzige Panne bei diesem Einsatz bleiben.

Als die Rechten um 17.45 Uhr aus Ladenburg kommend wieder in Weinheim eintrafen und diesmal am Nordende ausstiegen, wurden es noch einmal kurz brenzlig. Aus den Reihen einiger Linksautonomer flogen eine Glasflasche und eine Rauchbombe in Richtung der Polizei. Die Polizei nahm die beiden mutmaßlichen Werfer vorläufig fest. Eine Frau war bereits vorher abgeführt worden, da sie nach Polizeiangaben gegen das Vermummungsverbot verstoßen hatte. Ansonsten konnte eine Eskalation aber vermieden werden. Dies war auch das Verdienst der vielen friedlichen Gegendemonstranten aller Altersstufen, die trotz der Verzögerung wieder gekommen waren, um den Neonazis nicht das Feld zu überlassen. In kurzen Ansprachen wurden von den Rechten die USA als Feindbild heraufbeschworen, die Ungleichverteilung des Reichtums in Deutschland angeprangert und als einzige Lösung aller Probleme ein "nationaler Sozialismus" propagiert. Ein paar rechte Parolen wurden noch skandiert, dann wurde die Kundgebung um 18.30 Uhr beendet. Bis die Neonazis, überwiegend junge Männer um die 20, Weinheim wieder mit der Bahn verließen, vergingen freilich noch einmal 45 Minuten. Um 19.15 Uhr konnten die ersten Polizeieinsatzwagen abrücken.

Auf Seiten der "Initiative gegen Rechts" hatten im Laufe des Nachmittags Vertreter unterschiedlichster Gruppen das Wort ergriffen; moderiert von Ernst Ihrig vom DGB und Elisabeth Kramer von der GAL wurden aber auch einige kulturelle Beiträge geboten. Oberbürgermeister Heiner Bernhard brandmarkte die rechtsextremistischen Umtriebe als "Gefahr für die Grundwerte unserer Gesellschaft". Und er machte deutlich: "Wir wollen hier in unserer Stadt keinen Rechtsradikalismus." Allerdings bedauerte er die Namenswahl der Initiative, er bekenne sich viel lieber zu dem Slogan "für ein weltoffenes Weinheim".

Tina Gulden vom Vorstand des DGB Weinheim wies darauf hin, dass Solidarität und soziale Gerechtigkeit mit dem Faschismus nicht vereinbar sind. Sie betonte aber auch, dass die immer stärker um sich greifende Existenzangst in Deutschland eine "Steilvorlage für die Nazis" sei. Ähnlich argumentierte Helmut Schmitt, Vorsitzender der IG BCE Weinheim. Radikale Töne schlug lediglich Udo Belz an; der Betriebsrat von Alstom in Mannheim kritisierte auch die Polizei scharf.

Stella Kirgiane-Efremidis sprach für den Koordinierungskreis zur Integration von Ausländern: "In Weinheim ist kein Platz für Extremisten - weder für Rechte noch für Linke", sagte sie unter dem Beifall der meisten Zuhörer. Der evangelische Dekan Rainer Heimburger machte deutlich, dass jeder Bürger für die Demokratie eintreten müsse, um nazistischem Gedankengut nicht die Straße zu überlassen. "Wir haben unsere Lektion gelernt", so Heimburger. Uli Sckerl, Landtagsabgeordneter der Grünen, meinte, Weinheim könne stolz darauf sein, den Nazi-Aufmarsch verhindert beziehungsweise aufgehalten zu haben. Allerdings bleibe für ihn ein fader Beigeschmack, dass die Behörden und die Politik nicht in der Lage seien, Neonazi-Kundgebungen gänzlich zu verbieten. Viel Beifall bekam schließlich der Vorsitzende der Türkisch-Islamischen Gemeinde Weinheim, Ishak Ünal, der sich für ein friedliches und brüderliches Zusammenleben aussprach und für gegenseitige Toleranz warb.
darkrond - 2. Mai, 11:45

Kommentar: Zwiespältige Gefühle

[Weinheimer Nachrichten vom 02. Mai 2006]

Der gestrige Tag in Weinheim hinterlässt zwiespältige Gefühle: Einerseits Erleichterung darüber, dass die von vielen befürchteten Krawalle von rechten und linken Extremisten weitgehend ausgeblieben sind. Freude darüber, dass die Zahl derer, die gegen Fremdenfeindlichkeit und Neonazis demonstrierten, deutlich größer war als die Gruppe der rechten "Kameradschaften" aus der ganzen Region.

Und Anerkennung für die Stadt Weinheim, dass sie einen Demonstrationszug der Rechten durch die Stadt mit juristischen Mitteln verhindern konnte. Andererseits bleibt aber auch die Sorge, dass rechtsextremes Gedankengut immer mehr Anhänger findet - zumal es fast ausschließlich junge Menschen sind, die mit rechtsradikalen Parolen die Demokratie provozieren. Es bleibt das Bedauern darüber, dass nicht alle demokratischen Kräfte einen Konsens gefunden haben, um gemeinsam zur Gegenkundgebung aufzurufen. Und es bleibt die Befürchtung, dass viele Politiker, aber auch ganz normale Bürger, die Gefahr von Rechts weiterhin verharmlosen werden, weil sie glauben, durch Totschweigen das Problem lösen zu können.

Was unterm Strich bleibt? Der gestrige Tag war für alle Demokraten ein Anfang, mehr war er noch nicht.

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