Durch Angst nicht lähmen lassen

[Weinheimer Nachrichten vom 19. Dezember 2005]

Weinheim. (pro) "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut!" Mit Sprechchören wie diesem zogen am Samstag rund 700 Menschen mit Fahnen und Transparenten der Gewerkschaften IG BCE und IG Metall durch die Weinheimer Innenstadt. Die Teilnehmer der Demonstration gegen den schleichenden Arbeitsplatzabbau in der Region und Produktionsverlagerungen ins Ausland machten ihren Sorgen, aber auch ihrer Wut lautstark Luft: "Hopp, hopp, hopp - Abbaustopp" riefen die Menschen immer wieder beim Marsch vom Tor 1 der Firma Freudenberg zum Marktplatz, der von den Guggemusikern der Dossenheimer "Schauenburg-Geischda" nicht minder lautstark begleitet wurde.

Ein gellendes Pfeifkonzert gab es bei der Abschlusskundgebung für die Pläne der Freudenberg Vliesstoffe KG, 410 Stellen zu streichen, davon allein in Weinheim 350 bis Ende 2008.

Helmut Schmitt, Vorsitzender der Ortsgruppe Weinheim der IG BCE, zeigte sich auf dem Balkon des Alten Rathauses sichtlich zufrieden über die Zahl der Teilnehmer, die den Marktplatz - eine Stunde vor Beginn des Weihnachtsmarktes - zu Dreivierteln füllten. "Das ist ein wichtiges Signal gegen die Politik der Betriebe, die Stellen abbauen und Produktionsstandorte ins Ausland verlagern", sagte er. Die Firma Freudenberg habe 1970 in Weinheim noch 14700 Menschen beschäftigt, heute seien es unter 6000. Naturin habe in den vergangenen zehn Jahren seine Belegschaft mehr als halbiert; rund 100 müssten 2006 gehen. Und bei 3 Glocken sei zu befürchten, dass nach dem Umzug nach Mannheim früher oder später etliche Stellen wegfallen.

Die immer kleiner werdende Zahl von Arbeits- und Ausbildungsplätzen sei "eine schlimme Hypothek für die Zukunft der ganzen Region", rief Schmitt den Demonstrationsteilnehmern zu: "Was nutzen Gewinne in China oder Osteuropa, wenn sich die Menschen bei uns die dort hergestellten Produkte nicht mehr leisten können, weil sie arbeitslos sind?" Die Auswirkungen dieser Unternehmenspolitik würden alle zu spüren bekommen, zum Beispiel der Einzelhandel und die finanzschwachen Kommunen. Schmitts Kritik richtete sich aber auch gegen die alte und die aktuelle Bundesregierung, die mit Hartz IV eine unsoziale Politik betreibe, die nur Unternehmer und Reiche entlaste. Auch die von der Großen Koalition beschlossene "Reichensteuer" sei nichts als "Augenwischerei". Und die häufig zu hörende Forderung nach Arbeitszeitverlängerung sei gesellschaftspolitisch absurd. Vielmehr müsse es darum gehen, die Arbeit gerechter zu verteilen und zwar "durch Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich".

Auch Norbert Pöhlert, der Betriebsratsvorsitzende der Freudenberg Vliesstoffe KG, ging mit der Politik hart ins Gericht. Mit Steuergeldern würden Produktionsverlagerungen innerhalb der EU subventioniert und wenn dann im Ausland Verluste anfallen würden, dann könnten die Unternehmen diese sogar in Deutschland von der Steuer absetzen. Selbst innerhalb der Bundesrepublik funktioniere dieses Prinzip, wie die Verlagerung von Arbeitsplätzen der Vliesstoffe KG von Weinheim nach Kaiserslautern gezeigt habe.

Pöhlert mahnte die von der Firma Freudenberg so oft betonte "soziale Verantwortung" für die deutschen Standorte an. Diese könnten mit einer starken Unternehmensführung sehr wohl wettbewerbsfähig sein, wie die Beispiele Trigema und Porsche zeigen, die mit großem Erfolg in Deutschland produzieren. Doch es habe den Anschein, dass die Firma Freudenberg die Fähigkeiten ihrer deutschen Mitarbeiter unterschätze. Statt Motivation und Miteinander bediene sich die Führung einer "Kultur von Angst und Drohung gegenüber der Belegschaft und dem Betriebsrat". Es sei höchste Zeit, dagegen etwas zu tun, "bevor wir in Deutschland Zustände wie in Frankreich bekommen".

Mit Blick auf den Stellenabbau bei der Vliesstoffe KG rief Pöhlert den Kollegen zu: "Lasst euch durch Angst nicht lähmen!" Zugeständnisse würden nichts nützen, das hätten die letzten Jahre gezeigt. Trotz massiven Stellenabbaus seit 2001 seien die übrig gebliebenen Arbeitsplätze nicht, wie versprochen, sicherer geworden - "im Gegenteil!" Gleichwohl kündigte er für die anstehenden Verhandlungen mit der Geschäftsführung an, dass der Betriebsrat konstruktive Vorschläge zur Lösung der Probleme machen werde.

Noch schärfer formulierte Udo Belz, Betriebsratsvorsitzender von Alstom Mannheim, seine Kritik an den deutschen Unternehmen: "Das ist die reine Geldgier." Damit werde der soziale Frieden aufgekündigt und es könne darauf nur eine Antwort geben: "Widerstand!" Er ermunterte die Weinheimer dazu, es mit dieser einen Demo nicht bewenden sein zu lassen. Denn ein Arbeitsplatz, der in der Industrie verloren geht, koste weitere zwei bis drei Jobs im Umfeld. Deshalb gehe der drohende Stellenabbau bei der Vliesstoffe KG alle Bürger an. Wolfgang Katzmarek, Bezirksvorsitzender der IG BCE Mannheim, stieß in seiner Ansprache ins selbe Horn: Die Menschen müssten den Angriffen auf zentrale Arbeitnehmerrechte entgegentreten. Mit der Flucht vieler Unternehmen aus den Tarifverträgen stünden sogar die Mindeststandards auf dem Spiel.

Trackback URL:
https://dgbweinheim.twoday.net/stories/1298853/modTrackback

Gewerkschaftsbüro erhalten!

Helft mit und sammelt Unterschriften für den Erhalt des Büros der Gewerkschaften am Marktplatz Weinheim!

Suche

 

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Besucher

Counter
seit 01.11.2005

Presseecho
Pressemitteilungen
Termine
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren