"Falsche Strategie ist die Ursache der Probleme"

[Weinheimer Nachrichten vom 19. Dezember 2005]

Weinheim. (pro) Am Samstag gingen in Weinheim viele Menschen auf die Straße, um gegen den Arbeitsplatzabbau in der Region zu protestieren. Aktueller Anlass ist der drohende Stellenabbau bei der Freudenberg Vliesstoffe KG, bei der in Weinheim 350 Jobs bedroht sind.

Vergangene Woche forderte Dr. Albert Pürzer, Mitglied der Unternehmensleitung des Freudenbergkonzerns, im Interview mit unserer Zeitung von den Beschäftigten "vor allem mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten". Die Redaktion hat sich mit Norbert Pöhlert, dem Betriebsratsvorsitzenden der Vliesstoffe KG, darüber unterhalten.

Die Unternehmensleitung fordert mehr Flexibilität. Hat Weinheim Nachholbedarf?

NORBERT PÖHLERT: Nein, wir haben schon seit 2001 sehr flexible Arbeitszeitregelungen. Was gesetzlich möglich ist, wurde hier ausgereizt. Deshalb spielt dieses Thema im Moment eigentlich auch gar keine Rolle. Umso mehr hat mich die Aussage von Herrn Dr. Pürzer überrascht.

Dr. Pürzer erklärt auch, dass die Maschinen sechs Tage in der Woche laufen müssen, damit der Standort wettbewerbsfähig sein kann. Was sagen Sie dazu?

PÖHLERT: Auch über diese Aussage kann ich mich nur wundern. Seit 2001 gibt es für die Vliesstoffe KG eine Arbeitszeitvereinbarung, die auch den Samstag als Arbeitstag vorsieht, wenn dies die Auftragslage erfordert. Im Prinzip ist das nichts anderes als die von Herrn Dr. Pürzer so gelobte "Planwochenarbeitszeit" von 29 bis 45 Stunden bei der Bausysteme KG.

Worum geht es Ihrer Meinung nach in der aktuellen Diskussion dann?

PÖHLERT: Die Unternehmensleitung von Freudenberg und die Geschäftsleitung der Vliesstoffe KG wollen massive Einsparungen erreichen. Dies soll durch die angekündigten Entlassungen und durch einen Haustarifvertrag erreicht werden, der nicht nur den bisherigen Leder-Tarif deutlich unterschreitet, sondern auch schlechter ist als der ohnehin niedrigere Chemie-Tarif. Für die Mehrheit der Mitarbeiter würde dies Einkommenseinbußen von mehreren hundert Euro brutto im Monat bedeuten. Das ist völlig inakzeptabel.

Aber die Effekte der Globalisierung machen auch vor Freudenberg nicht Halt. Muss der Betriebsrat nicht der Geschäftsleitung entgegen kommen, um wenigstens die restlichen Arbeitsplätze zu sichern?

PÖHLERT: Niemand bestreitet, dass der Wettbewerbsdruck durch die Globalisierung zugenommen hat. Aber dies ist unserer Meinung nach nicht der Grund für den angekündigten Arbeitsplatzabbau. Ursache ist vielmehr eine falsche strategische Planung der Unternehmensleitung, bei der die zukunftsträchtigen Bereiche der Vliesstoffe KG aus Weinheim abgezogen werden anstatt die Erfahrung der Beschäftigten voll zu nutzen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

PÖHLERT: Vor drei Jahren wurden die technischen Vliesstoffe nach Spanien verlagert, ein echtes Premiumprodukt mit großem Zukunftspotenzial. Doch die positiven Effekte für das Unternehmen blieben bisher aus, weil in Spanien einfach das Know-how fehlt. Die Geschäftsleitung sollte erkennen, dass solch hochwertige Produkte wie die technischen Vliesstoffe in Weinheim besser produziert werden können und zwar zu wettbewerbsfähigen Preisen. Das gilt im Prinzip auch für die Verlagerung der Produktion der Autoinnenraumfilter, die die Unternehmensleitung jetzt plant.

Wie konnte es zu diesen - aus Ihrer Sicht falschen - Entscheidungen kommen?

PÖHLERT: Viele Kollegen machen mittlerweile Herrn Dr. Pürzer für die Probleme verantwortlich. Seit er vor fünf Jahren zu Freudenberg kam, hat die Geschäftsleitung der Vliesstoffe KG mehrfach gewechselt und bis Ende 2008 werden unter seiner Regie fast 800 Arbeitsplätze aus Weinheim verschwunden sein. Außerdem wird der Betrieb ständig umstrukturiert, was für große Unruhe bei den Mitarbeitern sorgt, von denen viele das Vertrauen in das Unternehmen verloren haben.

Wissen Sie, welche Bereiche der Vliesstoffe KG in Weinheim besonders vom geplanten Stellenabbau betroffen wären?

PÖHLERT: Es wären alle Bereiche von Rationalisierungen betroffen. Vor allem aber die Autofilter mit derzeit rund 140 Beschäftigten, Teile der Buchhaltung, die nach Rumänien sowie das Entwicklungs- und Nähstudio, das in die Türkei verlagert werden soll.

Wie ist die Stimmung unter den Kollegen?

PÖHLERT: Die Leute haben Angst um ihre Jobs, aber auch Wut im Bauch. Schließlich haben sie vor gerade einmal drei Jahren im Rahmen des so genannten "Werkekonzepts" viele Zugeständnisse gemacht, weil man ihnen versprochen hatte, dass damit die Arbeitsplätze dauerhaft gesichert würden. Kaum ist das Konzept umgesetzt, bei dem übrigens auch schon 300 Jobs verloren gegangen sind, da kommt die Geschäftsleitung mit neuen Stellenstreichungen, obwohl der Konzern Rekordgewinne macht. Wenn dann in der Betriebsversammlung auch noch gesagt wird, damit sichere man die übrigen Arbeitsplätze, dann glauben das die Kollegen einfach nicht mehr.

Falls es zu dem Stellenabbau im angekündigten Umfang kommt, könnte dieser noch sozialverträglich gestaltet werden?

PÖHLERT: Kaum, im Rahmen des "Werkekonzepts" haben wir fast alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Doch jetzt gibt es so gut wie keinen Puffer mehr; es sind zum Beispiel nur noch wenige Mitarbeiter da, für die Altersteilzeit überhaupt in Frage kommt. Diesmal wären Entlassungen unausweichlich. Und dagegen werden wir uns mit allen Mitteln wehren.

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